Interview zum Studium in Italien
Margret Gläser arbeitete lange Zeit, bis sie beschloss, an der Humboldt-Universität Italienisch und Philosophie zu studieren. Wie sie mit ihren vier Kindern den Alltag in der norditalienischen Studentenstand Modena meistert, erzählt sie im Interview.
Wie kam die Idee, mit deinen vier Kindern alleine nach Italien zu ziehen?
Margret Gläser: Das Eine ist es, Italienisch zu studieren, das Andere, wirklich in Italien zu leben. Ich habe in der vorlesungsfreien Zeit immer Sprachkurse im Land besucht und irgendwann die Idee entwickelt, länger in Italien zu leben. Ich war bei der Erasmusberatung, habe dort ein Booklet mit den Partnerunis bekommen und gesehen, dass die Universität von Modena auch dabei ist. Das war praktisch, denn ich hatte sowieso vor, Modena für einen fünfwöchigen Sprachkurs im März 2016 zu besuchen.
Wie hast du dein Erasmus-Jahr vorbereitet?
Ich habe mich direkt für das Erasmusprogramm beworben und angegeben, dass ich nach Modena möchte. Meine Kinder sind 13, 10, 8 und 6 Jahre alt. Bereits in der Bewerbungsphase habe ich angefangen, herumzutelefonieren und mich zu informieren, welche Schule und welcher Kindergarten meine Kinder aufnehmen könnten. Hinzu kommt, dass ich auf einen Rollstuhl angewiesen bin und bei der Wohnungs- und Betreuungssuche wegen der erforderlichen Barrierefreiheit einiges aussieben musste. Ich habe eine private Schule mit angegliedertem Kindergarten gefunden, wo meine 8- und 6-jährigen Töchter bereits im März sein konnten, als ich für den Sprachkurs in Modena war. Für die staatlichen Schulen konnte ich mich leider nicht anmelden, da wir noch keinen Wohnsitz in Modena hatten.
Vor Ort haben wir dann für das eine Jahr eine Wohnung gesucht und anfangs viele Absagen bekommen. Wir wären angeblich zu früh dran, da natürlich keiner eine Wohnung für ein halbes Jahr reservieren und somit leer stehen lassen wollte. Dann bin ich auf einen sehr engagierten Makler getroffen, der uns die Wohnung vermitteln konnte, in der wir jetzt leben, und der uns auch bei Behördengängen wie zum Beispiel der Stromanmeldung geholfen hat. Als ich nun bereits im März 2016 in Modena war, habe ich auch die Uni angesehen und mich mit einer deutschen Professorin getroffen, um herzufinden, was genau mich alles erwarten würde und wie die Abläufe sind.
Wie waren dann die ersten Wochen vor Ort?
Meine zwei Jüngsten haben davon profitieren können, dass sie Modena und den Kindergarten beziehungsweise später auch die Schule schon aus unserem fünfwöchigen Aufenthalt kannten. Außerdem waren sie zuvor in Berlin für ein Jahr in einer deutsch-italienischen Spielgruppe, sodass es für sie leichter war, sich in der neuen Umgebung zurechtzufinden. Bei meinen beiden Älteren war es hingegen schwerer. Am härtesten hat es wohl meinen 13-jährigen Sohn getroffen, der hier mit der Scuola Media (der Vorbereitungsstufe des italienischen Gymnasiums) nicht nur auf sprachliche, sondern auch auf inhaltliche Herausforderungen gestoßen ist. Nach zahlreichen Gesprächen mit der Schule hat er inzwischen einen personalisierten Studienplan, und seine Alphabetisierung im Italienischen muss parallel zum Fachunterricht ablaufen. Doch auch hier hilft sehr die herzliche Aufnahme und Unterstützung seitens seiner Klassenkameraden und der gesamten Lehrerschaft.
Auch ich war anfangs mit Vielem gleichzeitig konfrontiert: Amtsbesuche, kranke Kinder, Uni-Start, schier unendlich erscheinende Termine mit Handwerkern (in unserer Altbauwohnung gibt es eigentlich immer etwas, was gerade nicht geht – doch es ist wohl gerade dies der besondere Charme, der hier alles so reizvoll macht), kurzum das Einleben überhaupt. Dazu kam noch, dass ich unmittelbar nach unserer Ankunft mit einem zweimonatigen Praktikum in einer Sprachschule begonnen hatte und für die HU noch zwei Hausarbeiten zu schreiben waren. Der Sommer war somit alles andere als entspannend für uns. Kurzzeitig habe ich dann wirklich kein Land mehr gesehen, als im September nicht nur die Uni für mich, sondern auch die Schule für die drei Kinder begann und somit jedes Wochenende dem Abarbeiten und Nachholen von Hausaufgaben gewidmet war. Dies ist letztlich auch heute, nach gut sechs Monaten, immer noch so, doch langsam schaffen es die Kinder alleine.
Zum Glück haben wir unmittelbar nach unserer Ankunft neue Freundschaften schließen können, deren Hilfe uns oftmals im wahrsten Sinne des Wortes gerettet hat. Inzwischen sind wir alle fünf sehr gut in Modena angekommen und ich habe mich gut in den Unialltag hineingefunden.
Wie finanzierst du das?
Durch das Erasmus-Stipendium erhalte ich monatlich pro Kind 200 Euro und dann noch 250 Euro für mich. Das erscheint auf den ersten Blick sehr viel, deckt jedoch in keiner Weise unsere Ausgaben. In Berlin habe ich etwas zusammengespart, auf das ich jetzt zurückgreife und außerdem unterstützt mich mein Mann, der in Berlin lebt und dort arbeitet. In Modena lasst es sich ähnlich gut wie in Berlin leben. Die Lebenshaltungskosten sind etwas geringer und auch für unsere Wohnung zahlen wir nicht mehr als in Friedrichshain, wo wir zuvor lebten.
Schaffst du es, Zeit für dich zu haben?
Mein Tag ist schon straff getaktet. Das fängt morgens an beim Butterbrote schmieren. Nachdem ich meine Kinder zur Schule gebracht habe, konzentriere ich mich auf Hausarbeiten und Prüfungen, die momentan anstehen, oder versuche, „nur“ zu studieren. Gerade sind Ferien, dadurch ist es etwas entspannter. Meistens sind die Kinder bis 13 oder 16 Uhr in der Schule. Die drei Mädchen spielen zweimal die Woche im Fußballverein, der zum Training in die Schule kommt, mein Sohn hingegen spielt Wasserball. Dann kann ich auch mal durchschnaufen. Es ist aber nicht selten der Fall, dass ich, nachdem die Kinder im Bett sind, erneut an den Schreibtisch gehe und für die Uni weiterarbeite.
Das hört sich nicht nach einer entspannten Zeit an…
Nein, das ist es ganz und gar nicht. Im Gegenteil, sehr anstrengend und intensiv, dafür aber auch erfüllend. Doch ich habe mir das so ausgesucht, eben weil es mich erfüllt. Ich merke, mit welcher Passion ich die Unikurse hier besuche und wie glücklich es mich macht, Italienisch zu sprechen und um mich herum den Klang der Sprache wahrzunehmen. Ich komme hier ständig an meine körperlichen Grenzen. Doch letztlich gibt mir dann gerade dies das Gefühl, es doch immer wieder zu schaffen und genügend Kraft zu finden, weiterzumachen. Der Anspruch, so zu leben, ist sicherlich nicht zu verallgemeinern. Doch wenn ich mich für etwas begeistere, gibt es für mich nur eine Art, es richtig zu tun und diese ist, vollkommen darin einzutauchen.
Was macht ihr als Familie in eurer Freizeit?
Meine Kinder sind alle in Sportvereinen, wodurch sie neben der Schule viele italienische Kinder kennenlernen und es auch immer irgendwelche gemeinsamen Aktivitäten gibt. Am Wochenende sind wir oft mit den Rollerblades in den zahlreichen Parks von Modena. Überhaupt ist Modena eine kinderfreundliche Stadt und man kann in den vielen Gassen gut schlendern und immer wieder Neues entdecken. Modena ist auch sehr zentral gelegen, sodass man von hier schnell für einen Tagesausflug in andere Städte kommt und das Umland sehen kann.
Gibt es hinsichtlich des Umgangs mit Kindern kulturelle Unterschiede, die dir im Alltag begegnen?
Da fällt mir direkt die Übervorsicht ein, die es hier gibt. Kinder unter 12 dürfen beispielsweise nicht alleine von der Schule nach Hause und müssen immer abgeholt werden. In Berlin mussten meine Kinder zwangsläufig bereits mit sieben Jahren alleine die öffentlichen Verkehrsmittel benutzen. Während wir uns für Geburtstage oder Feste immer in der Küche anstrengen, um etwas besonders Raffiniertes zu zaubern, darf man hier aus Hygienegründen nichts Selbstgemachtes mitbringen. Ob süß oder herzhaft, alles muss vorkonfektioniert oder zumindest frisch beim Bäcker gekauft und am besten noch mit dem Kassenzettel abgegeben werden. Dies ist schon ein Kulturunterschied, jedoch einer, an den man sich sehr schnell gewöhnt.
Das Interview führte Filip Mitrovski, studentischer Mitarbeiter des Familienbüros, im Februar 2017.